Caspar Güttel
Ecclesiastes - Weggefährte und Freund Martin Luthers
Caspar Güttels Jugendjahre bis zum Eintritt in den Augustinerorden
Von Hans-Ulrich Leifer
In den eingangs genannten Schriften die über Caspar Güttels Lebenslauf Auskunft geben, falls dies überhaupt der Fall ist, wird als sein Geburtsort München genannt. Hasche, der die Vorarbeiten über Caspar Güttel nicht kannte, meint sogar, daß Eisleben sein Geburtsort sei. Hier zeigt sich, wie eine falsche biographische Aussage von Buch zu Buch weitergereicht wird. Jener Biograph von 1727 hatte für seine Angaben kein anderes Zeugnis, als eine von ihm unverstandene Stelle in Güttels schon mehrfach genannten Schrift aus dem Jahre 1535. In dieser erzählt er, Staupitz habe 1515 die Absicht gehabt "jnn mein landt art, zu den Fürsten von Beyern, jnn die Stadt, München genannt, zu schicken." Daraus geht aber einzig hervor, daß Güttel aus Bayern stammt, doch keineswegs ist daraus der Schluß möglich, daß sein Geburtsort München sei. Sein Geburtsort war nämlich das Städtchen Reetz. Dies beweisen die Leipziger Universitätsmatrikel, denn hier ist er aufgeführt als Caspar Guttel de Reytze. Auch nennt er sich selbst im Jahre 1504 "Retzensis"
Das Jahr seiner Geburt ist nicht bekannt, doch gibt er uns in einer von den Biographen bisher übersehenen Notiz dahingehend Auskunft, daß er bei seiner im Sommer 1529 stattgefundenen Hochzeit ein Mann von bereits 58 Jahren gewesen sei. Damit kann als sein Geburtsjahr das Jahr 1471 genannt werden. Über sein Elternhaus, wie auch über seine Jugendjahre ist nichts bekannt. Nur über die religiösen Einflüsse auf seine Jugendzeit hat er selbst in späteren Jahren berichtet. Es sei ihm, so erzählt er, ähnlich zugegangen, wie dem Gichtbrüchigen am Teich von Bethesda (Joh. 5), der da gesagt habe: Ich habe keinen Menschen, der mich in den heilenden Quell trägt, und so also nicht gewußt habe, wie er seine Gesundung erlangen solle. "In der Zeit unsrer Gefängnis in der Papisterei wurde kein Mensch befunden wie alle Stifte, Klöster und hohen Schulen Bücher nachweisen der uns an den einigen Arzt gewiesen hätte, der allein mit seinem göttlichen Worte Seele und Leib heilet, fromm macht und Gerechtigkeit gibt, die vor Gott gilt." Er sei gewesen wie die Juden zur Zeit Pauli, denen dieser das Zeugnis gebe, daß sie um Gott eiferten, aber mit Unverstand, denn die Gerechtigkeit, die vor Gott gelte, erkennten sie nicht und trachteten nur danach, ihre eigene Gerechtigkeit aufzurichten (Röm. 10). "Deren bin ich einer gewesen, vornehmlich und gewißlich. Denn ich (habe) allein von unseren guten Werken und von der Gerechtigkeit (gewußt), die aus dem Gesetze kommt; aber von der Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt an Christum Jesum ........... habe ich mein Leben lang ganz und gar nichts geglaubt noch gewußt." So sei sein Leben ein unchristliches, ganz übel zugebrachtes gewesen, wenngleich es mit ganzem Ernst darauf gerichtet gewesen sei, vor Gott fromm, gerecht und selig zu werden, denn er habe seine Frömmigkeit allein in seine eigenen guten Werke gesetzt. So habe ihn und viele andere der papistische Haufe verführlich gelehrt und angeleitet. er gehöre zu der Zahl derer, die es ernst damit nahmen mit den Mitteln, die der vulgäre katholische Unterricht als verdienstlich und heilbringend anpries, den Frieden der Seele und Gnade bei Gott zu erwerben.
Er erzählt, er habe nicht der letzte sein wollen bei all jenen selbsterwählten Andachtsübungen, die man ihm und seinen Genossen empfahl; er wurde ein eifriger Rosenkranzbeter, er übte sich streng "bei Wasser und Brot" die Fasttage zu beobachten. Vor allem versäumte er die Gnadenmittel nicht, welche mittelalterliche Praxis und Lehre den Gläubigen ein Besuch der Wallfahrtsorte mit ihren mancherlei "Heiltümern" und ihrem beträchtlichen Ablaß darbot. Er erzählt von nicht weniger als sieben Wallfahrten, die er "barfuß und mit viel unnützer Mühe und Arbeit" als katholischer Christ unternommen habe. Zuvörderst ehrte er die Gnadenorte der Heimat. Zweimal pilgerte er "nach St. Wolfgang im bayerischen Gebirge". War doch der Heilige Wolfgang, der 972 994 Bischof von Regensburg gewesen war, ein in jenen Gegenden besonders verehrter Heiliger. Bezeichnend hierfür ist, daß die deutschen St. Wolfgangslegenden, die aus den Jahren 1502 1522 bekannt sind, in der Mehrzahl in Landshut gedruckt worden sind. Eine genaue Angabe, welcher der Wallfahrtsort St. Wolfgang aber war, findet sich bei Caspar Güttel nicht, denn in dieser Gegend gibt es mehrere Wallfahrtsorte mit diesem Namen. Vermutlich war es St. Wolfgang am Arbersee oder St. Wolfgangsee im Salzburgischen. Ferner pilgerte er dreimal zur "Schwarzen Maria von Altötting". Denn an diesen Ort muß man denken bei der Angabe in Caspar Güttels Schrift von 1535, daß er dreimal gezogen sei "gegen Baiern Oeching". Altötting mit seinen Erinnerungen an den Heiligen Ruprecht, der die Kapelle geweiht und das berühmte Gnadenbild zur Verehrung selbst aufgestellt haben sollte, war bereits damals ein Wallfahrtsort ersten Ranges. "Nachdem Alten Oetingen umb das Jahr 1489 durch die täglich zutragende Wunderwerck, weit und brait zufloriern, und berühmbt zuwerden angefangen, hat die wall- oder Kirchenfahrt dermassen zugenommen, daß die Mänge deß Volckes die Kirchen nit hat fassen mögen". In diesem Jahr hatte nämlich die wundertätige Maria zu Altötting an drei verschiedenen Kindern, von denen eins ertrunken, das andere überfahren und das dritte zu Tode erkrankt war, Wiedererweckungswunder vollbracht. Der im Jahr vorher eingesetzte Propst des Chorherrenstiftes selbst sorgte dafür, daß diese Wunder bekannt wurden und die Wallfahrten damit einen neuen Aufschwung bekamen.
Das sollte jedoch Caspar Güttel nicht genügen. Er unternahm deshalb wie viele seiner Zeitgenossen eine Wallfahrt nach Aachen. In Aachen, der durch Karl den Großen zu hohen Ehren gekommenen Stadt, wurden außerordentliche Heiltümer verehrt: Ein Stück von der Krone Jesu Christi, ein Nagel von dem Kreuz, das Schweißtuch des Auferstandenen, ein Arm Simeons, auf dem er Christus getragen hatte, wie auch die Windeln, in die das Kind gewickelt worden war. Das alles war ein Geschenk des griechischen Kaisers, die Kaiser Karl im St. Marienmünster in Aachen niedergelegt hatte. Alle sieben Jahre wurden diese Heiligtümer für die Dauer von vierzehn Tagen dem herbeiströmenden Volk gezeigt. So fand deshalb alle sieben Jahre eine große Wallfahrt nach Aachen statt. So war es auch das Jahr 1496 ein Jahr der großen Aachenfahrt und zu vermuten ist, daß es auch das Jahr war, in dem Caspar Güttel nach Aachen pilgerte In jenem Jahr zählten die Torwärter Aachens an einem Tag 142.000 Pilger. Die Opfergaben der Pilger während dieser vierzehn Tage in der Marienkirche ergaben die unvorstellbare Summe von 85.000 Gulden. Das Jubeljahr 1500 lud zur Pilgerfahrt nach Rom ein, und wie Tritheim schildert, "machten sich Männer und Weiber, Witwen und Jungfrauen, Jünglinge und Greise, Mönche und Nonnen in bunter Mischung auf die Wanderschaft, und es war eine Sache, die einem verständigen Mann viel Anlaß zur Verwunderung gab."
Caspar Güttels Urteil zu diesen Wallfahrten ist später mehr als deutlich: da er Gerechtigkeit im eigenen Werk suchte, daß er mit allen Unkosten, mit allem Verlust edler Zeit, mit aller gehabten Mühe, Fahr und Arbeit nichts anders ausgerichtet habe, als wie das Sprichwort sage: "Zwiebeln hineingeführt und Knoblauch wieder herausgebracht." Es sei ihm mit diesen seinen guten und verdienstlichen Werken ergangen wie dem kranken Weibe im Evangelium, welche viel von den Ärzten erlitten und all ihr Gut dabei verzehrt habe, deren Krankheit aber dabei doch nur ärger geworden sei. "je mehr ich durch vermeinte gute Werke wollte einen gnädigen Gott, Vergebung meiner Sünden und ein friedsames Gewissen bekommen, je böser und noch viel ärger es mit mir ist worden."Jene siebenmal unternommenen Wallfahrten Caspar Güttels führen uns bis in das Jahr 1500.
Dokumentarisch festgehalten treffen wir auf Caspar Güttels Namen, so wie bei Martin Luther in Erfurt und so wie bei Thomas Müntzer in Leipzig, erstmals in dem Matrikelverzeichnis der Leipziger Universität. Im Sommersemester wurde hier ein "Caspar Guttel de Reytze"als Angehöriger der bayerischen Nation im Jahre 1494 immatrikuliert. Er war jetzt 23 Jahre alt, als er sein Studium begann. Der Universitätsrektor war damals der in der Reformationsgeschichte bekannt gewordene "Conradus Coci de Buchen dictus Wimpina", der 1506 die theologische Celebrität der Universität Frankfurt an der Oder wurde. Über seine Studien, seine Lehrer und Freunde fehlt uns genaue Kenntnis. Er erwarb sich die Würden, die die Artistenfakultät verlieh, er wurde Baccalaureus und dann Magister septenarum artium liberalium. So jedenfalls nennt er sich in einem der ältesten uns erhaltenen Briefe nicht ohne einen gewissen Stolz.
Aus einem Brief, den Chrstof Scheurl 1518 an Caspar Güttel schrieb, erfährt der Leser, daß die beiden während der Universitätszeit Freundschaft geschlossen hatten. Doch ist nachweisbar, daß Christof Scheurl nicht in Leipzig sondern 1497 in Heidelberg studiert hatte und ab Ende des Jahres 1498 bis 1507 zunächst als Student und dann als Dozent in Bologna tätig war. Wir erfahren aber auch, daß Christof Scheurl in Begleitung anderer von Bologna aus im Jubeljahr 1500 nach Rom reiste. Zu vermuten ist, daß Caspar Güttel im Zusammenhang mit seiner Romfahrt einige Zeit in Bologna studiert haben könnte. Im Jahre 1498 empfing Caspar Güttel die Priesterweihe. Wo dies war und an welchem Tag dies geschah, ist nicht mehr feststellbar. Warum er sich zu diesem Schritt entschlossen hatte, hat er später selbst dargestellt. Es war nicht die finanzielle Abgesichertheit, die diese Tätigkeit mit sich brachte, denn allem Anschein nach war Caspar Güttel nicht unbemittelt. Auch ging es nicht um die Vorzüge, die eine bequeme Pfründe bieten konnte. Dazu war Caspar Güttel von Natur aus ein viel zu arbeitsfreudiger Mensch. Seine Gründe waren vielmehr die katholische Wertschätzung des Standes des Klerikers als eines mit geistigen Gaben Bevorzugten und weit über den Stand der Laienschaft stehenden. Er wollte "etwas Höheres und Besseres zu Gott ausrichten, als die gemeinsame Versammlung aller getauften Christen". Mit dem festen Glauben, kraft der Priesterweihe jenes ihn über die gemeinen Christen erhebenden "character Christum maxime exprimens" teilzuhaben, trat er in die Priesterschaft ein.
In seinen späteren Jahren geißelte er jedoch diesen Schritt mit den scharfen Worten: da habe er "einen gesalbten Ölgötzen" aus sich machen lassen. Doch zunächst meinte er es ehrlich mit seiner Priesterschaft und es hat ihm nicht an Achtung und Anerkennung gefehlt. Immerhin übte er diese Amt 16 Jahre lang auch aus. Auch wenn wir diese Zeit quellenmäßig nicht unbedingt präzise nachvollziehen können, so treffen wir doch zumindest auf einige Hinweise. So erfahren wir zunächst, daß er vier Jahre in der böhmischen Stadt Brücks (Brüx, nicht weit von Teplitz) sein Priesteramt versah. Dort bot sich die günstige Gelegenheit, seinen "Eifer mit Unverstand" zu beweisen, denn noch zu deutlich war in dieser Gegend die hussitische Bewegung spürbar. So gab es deshalb auch noch genügend "Ketzer". Nicht lange zuvor hatte dort der bekannte Ablaßprediger Johann von Paltz (1490) Predigten zur Bekehrung dieser "Ketzer" gehalten. Caspar Güttel selbst schildert 1518 seine Brüxer Gemeinde als eine "wie Gold und Feuer erprobte und trotz jämmerlicher Verfolgung (durch die Hussiten) der christlichen Kirche ganz untertan und anhängig befundene Christengemeinde. Mit größtem Eifer zog nun der junge Priester gegen jene Ketzer zu Felde und suchte seine christliche Gemeinde in der katholischen Abendmahlslehre zu festigen.
Er muß ein eifriger Kanzelpolemiker gewesen sein und in seiner Gemeinde den Geist des "Neidens und Verfolgens" den Irrgläubigen gegenüber mit jugendlichem Feuer geschürt haben, denn er hat ab seiner Annahme der evangelischen Glaubenslehre zeitlebens an jene vier Jahre in Brüx mit ähnlichen schmerzhaften Empfindungen zurückgedacht, wie Paulus an seine Zeit zurückdachte, als er noch Saulus hieß und der eifrigste und hartnäckigste Verfolger der jungen christlichen Gemeinde war. Im Jahre 1518 sprach er aber noch mit Stolz von seiner Polemik gegen die Hussiten, aber in späteren Jahren klagte er sich um so lauter und rückhaltloser an. 1523 bekennt er sich sogar schuldig, vier Jahre lang an jenem Orte die communio sub una (noch heute praktizierte Kommunion der katholischen Kirche) öffentlich verteidigt zu haben. 1555 hören wir ihn klagen, daß er dort einstmals "viel, viel, viel papistisch Gift vier Jahre lang ausgegossen." Selbst noch in seiner letzten Schrift bekennt er, daß er einst zu der "Sekte und Rotterei" gehört habe, welche nicht nur für sich selbst dem Papste in seinem Verbot des Laienkelches Gehorsam leistete, sondern noch dazu diejenigen "neide und verfolge", die sich nach der Ordnung und Einsetzung Christi hielten.
Mit dem Jahre 1504 finden wir wieder eine gesicherte Quelle im Leben Caspar Güttels. Wir treffen ihn an als magister artium am Fürsten Colleg der Leipziger Universität. Hier veröffentlicht er seine älteste uns bekannte Druckschrift, die einzige übrigens, die er in lateinischer Sprache abgefaßt hat. Sie gibt ein höchst charakteristische Zeugnis ab für die religiösen Empfindungen, die ihn zu diesem Zeitpunkt beseelten. Diese Schrift ist nämlich eine einzige überschwengliche Lobrede auf den Marienkult. Sie hat das Ziel, die Leipziger Studenten zu einer ausgedehnten Übung des Rosenkranzbetens anzuleiten. Schon in dem Dedicationsbrief versichert er: alle heiligen Schriften bezeugten, daß Maria der Weg sei, auf welchem man zu Gott gelange, daß sie die Leuchte sei, die uns zum göttlichen Lichte weise. Sie sei das Mittel, durch das man am leichtesten aus dem Gehege menschlicher Wissenschaften zur übernatürlichen Gotteserkenntnis, zur göttlich geoffenbarten Weisheit, ja endlich droben zum Schauen der ewigen Seligkeit sich erheben könne. Darum verdiene sie den sorgsamsten Kult der Menschenkinder. "Ich habe es erfahren, daß Gebete, die man vor dieser herrlichsten Jungfrau ausschüttet, niemals vergeblich sind." So ermahnt er darum die studierende Jugend, auf den Mariendienst allen Fleiß zu verwenden, denn sie werden damit ein Übermaß an Lohn erwerben (maximum in hoc remunerationis cumulum relaturi). Er gibt demgemäß in der kleinen Schrift eine in lateinischen Hexametern abgefaßte Anweisung zum ersprießlichen Beten des Rosenkranzes.
Ein solcher Rosenkranz, der aus fünf roten Rosen, die auf das Blut Jesu Christi deuten und aus fünfzig weiße Lilien, die an die züchtige Jungfrau erinnern, zusammengesetzt sei, sei folgendermaßen zu beten: Zuerst spreche man ein Credo, um sich damit als Christgläubigen auszuweisen. Dem folgen die ersten zehn Ave Maria und zwar in Gedanken an Mariä Verkündigung. Dem schließt sich ein erstes Pater Noster zu Erinnerung an Jesu Christi Gebetskampf in Gethsemane an. Nun kommen die zweiten zehn Ave Maria im Angedenken an Mariä Heimsuchung. Das zweite Pater Noster ist der Geißelung Jesu gewidmet. Die dritten zehn Ave Maria gelten der jungfräulichen, schmerzlosen Geburt in Bethlehem. Das nachfolgende Vaterunser gilt der Dornenkrönung Christi. Die vierte Ave Maria Reihe wird unter Betrachtung der Schmerzen gebetet, die Maria empfunden hatte, als sie den zwölfjährigen Jesus suchte und endlich im Tempel fand. Das angehängte Vaterunser gilt dem am Kreuz hängenden Herrn. Die nun letzten zehn Ave Maria sind der Himmelfahrt Mariä ( ecce choros virgo leta ascendit super omnes, attrahat ut famulos ....... ). Das fünfte Vaterunser und ein zweites Credo bilden das Ende. Solches Gebet möge dreimal wöchentlich verrichtet werden. Außer diesem "Egregius modus orandi Posaceam coronam matris Mariae" enthält das kleine Büchlein noch zwei Hymnen an Maria: "O regina poli, quae radiis micas" und das "carmen votivum" des beliebten Karmeliters Baptista Mantuanus: "Ad tua confugio supplex altaria virgo".
Aber wo die Mutter Jesu geehrt wird, darf auch nicht das Lob über die Großmutter fehlen. Darum wird ein Hymnus über die Heilige Anna hinzugefügt, in welchem sie als das Asyl der Traurigen und Notleidenden, besonders auch als die Helferin in Zeiten der Pest, gepriesen wird, mit dem deutlichen Hinweis, wie jetzt alle Nationen sich im Kult der begnadeten Mutter Mariä beeiferten. Den Beschluß des Büchleins bilden zwei Hymnen des Jacobus Philomusos zu Ehren der heiligen Katharina, der Schutzheiligen der Leipziger Universität, die überhaupt als Beschützerin der Gelehrten verehrt wurde.
Wie lange Caspar Güttels Aufenthalt in Leipzig andauerte, ist nicht feststellbar. Zu vermuten ist, daß er in dieser Zeit zum Baccalaureus in bibliis promovierte. Etwa um 1510 ist er als Prediger in Ehrenfriedersdorf, unweit von Zwickau, zu finden. Nicht lange danach treffen wir ihn in der angesehenen Stadt selbst an. Hier ist er Prediger und zugleich Meßpriester an einem der dreiundzwanzig Altäre der Marienkirche, nämlich an dem nicht lange vorher gestifteten Altar "exulum animarum". Das war der Altar, der speziell für die Fürbitten der im Fegefeuer befindlichen Seelen der Verstorbenen errichtet worden war. An ihnen wurden die Messen mit dem Privileg des vollkommenen Ablasses jener Seelen gelesen.
Bereits jetzt schon scheint sich Caspar Güttel den Ruf eines herausragenden Kanzelredners erworben zu haben. Bedingt durch seine theologischen Richtung galt er in Zwickau als eifriger Thomist. Doch dies war Caspar Güttel nicht genug, denn die innere Unruhe, die fortgesetzte Sorge um seiner Seele Heil war trotz des Priesterstandes und angesehener Amtstätigkeit, trotz Wallfahrten und Beten des Rosenkranzes, noch immer nicht gestillt. Deshalb sah er sich nach neuen wegen zur geistigen Vervollkommnung um. Er beschloß, sich allem Irdischen zu entsagen und einem Bettelorden beizutreten.
Im Weltpriestertum hatte er nach seinem eigenen Geständnis "nicht Ruhe noch Rast in seinem Gewissen weder Tag noch Nacht" gefunden Dabei ärgerten ihn "die unverschämt große Sünde und allerlei Gebrechlichkeit", die er überall im Priesterstand vorgefunden hatte. Mit dem Eintritt in den Mönchsorden hoffte er, zu dem ersehnten Frieden zu gelangen, nämlich, daß es ihm so gelingen würde, "in den Stand der Vollkommenheit" zu kommen. Sicher war dieser Entschluß ausschlaggebend dafür, daß er in Zwickau dem Altar, an dem er mehrere Jahre lang amtiert hatte, die beträchtliche Summe von 600 Gulden, womöglich sein ganzes Habe, schenkte.
Als Caspar Güttel der Stadt Zwickau den Rücken kehrte, er wird ca. 43 Jahre alt gewesen sein, um im Kloster Vollkommenheit zu finden, hinterließ er dort das Andenken an seine hochgeschätzte priesterliche Tätigkeit, denn die Zwickauer Bürger behielten ihn in sehr guter Erinnerung. Der Beweis ist darin zu sehen, daß einige Jahre später der Zwickauer Rat zu seiner Doktorpromotion mit einem ansehnlichem Geldgeschenk gratulierte. Auch berief ihn der Rat später nach Zwickau, um in der Stadt die Reformation durchzuführen.
Der Beitrag wird fortgesetzt. Eine gedruckte Fassung ist bei mir erhältlich.